Fahrenheit 451
Ray Bradbury, merhrere Auflagen seit 1953
Guy Montag ist Feuerwehrmann. Sein Job ist es, Bücher zu verbrennen, denn diese sind als Quelle aller Zwietracht und allen Unglücks verboten. Trotzdem ist Guy unglücklich, denn in seiner Ehe ist die Zwietracht vorhanden. Sind etwa Bücher in seinem Haus versteckt?
Bradburys Utopie-Klassiker einer postliterarischen Zukunft gehört in eine Reihe mit Orwells „1984“ und Huxleys „Brave New World“ in seiner kritischen Behandlung der Versklavung der westlichen Gesellschaft durch Medien, Drogen und Konformität. Auch 50 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung hat Fahrenheit 451 nichts von seiner schockierenden und aufwühlenden Wirkung verloren.
siehe auch Spurensuche Fahrenheit 451
Eine neue Einleitung von Ray Bradbury 12. März 2003
Was lässt sich noch Neues über Fahrenheit 451 sagen? Ich habe in den letzten dreissig Jahren drei oder vier Einleitungen dazu geschrieben und versucht zu erklären, woher der Roman gekommen ist und wie er schliesslich seinen Weg fand.
Zunächst: Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich lange genug am Leben geblieben bin, um mit al den Menschen zu sprechen, die dem Roman in diesem Jubiläumsjahr ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben.
Der Roman war damals eine Ueberraschung für mich – und ist es noch heute.
Ich habe schon immer aus voller Lunge und aus meinen tiefsten Tiefen geschrieben und bin dem Rat meines alten Freundes Federico Fellini gefolgt, der, wenn man ihn nach seiner Arbeit fragte, antwortete: „Sagen Sie mir nicht, was ich tue, ich will’s nicht wissen.“
Am besten ist es, sich hineinzustürzen und herauszufinden, was die eigene Leidenschaft hervorbringt.
Vor fünfzig Jahren habe ich eine kurze Version des Romans geschrieben – mit 25 000 Wörtern und dem Titel Der Feuerwehrmann, erschienen ist sie im Magazin Galaxy Science Fiction; etwas später ergänzte ich sie für die Veröffentlichung im Verlag Ballantine Books um weitere 25 000 Wörter.
Weil wir zu Hause eine neugeborene Tochter hatten, musste ich zum Schreiben einen etwas ruhigeren Ort finden. Ein Büro zu mieten konnte ich mir damals nicht leisten. Aber als ich eines Tages in der University of California in Los Angeles umherwanderte, hörte ich unterhalb der Bibliothek Schreibmaschinengeklapper und ging hinunter, um nachzusehen: Es stellte sich heraus, dass es dort einen Raum mit zwölf Schreibmaschinen gab, die man für 10 Cent pro halbe Stunde mieten konnte. Voller Tatendrang besorgte ich mir einen Sack Münzen und zog in den Schreibraum ein.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was die vielen Studenten auf ihren Schreibmaschinen tippten, und sie wussten wohl kaum, was ich schrieb – genauso wenig wie ich selbt.
Wenn der Roman in irgendeiner Form spannend ist, liegt das vermutlich daran, dass ich während der nächsten anderthalb Wochen etwa alle zwei Stunden treppauf und treppab lief, zwischen die Regale stürmte, Bücher herausgriff und versuchte, passende Zitate darin zu finden. Ich bin kein Wissenschaftler, und mein Gedächtnis funktioniert bei Dingen, die ich irgendwann gelesen habe, nicht besonders; deshalb sind die Zitate im Buch diesen wunderbaren Zufällen zu verdanken: Ich nahm ein Buch vom Regal und fand indem ich es einfach irgendwo aufschlug, einen erstaunlichen Satz oder Absatz, den ich für meinen Roman verwenden konnte.
Für diese erste Version habe ich genau neun Tage und neun Dollar und achtzig Cent gebraucht, ohne dass mir damals bewusst gewesen wäre, dass das Buch ein recht langes Leben vor sich hatte.
Seit der Erstveröffentlichung habe ich es zu einem Theaterstück in zwei Akten umgeschrieben und zwei Sommer in Connecticut damit verbracht aus dem Text eine Opernfassung zu erstellen. Das Buch scheint ein Eigenleben zu haben, sich immer wieder selbst zu erfinden.
Wenn ich versuche seine Entstehung in den Jahren vor 1950 zu rekonstruieren, stosse ich auf Geschichten wie Burning Bright und ein paar andere Erzähungen, die in meinen frühen Büchern erschienen sind.
Das wichtigste jedoch ist die Tatsache, dass ich mein Leben lang ein Bibliothekenmensch war. Bis zum Alter von 22 habe ich Zeitschriften verkauft und konnte mir das College nicht leisten, aber lange Zeit verbrachte ich drei oder vier Nächte die Woche in der Stadtbibliothek und verschlang Bücher.
Einige meiner ersten Geschichten drehen sich um Bibliothekare und Bücherverbrenner und um Menschen in kleinen Städten, die Bücher auswendig lernen, um ihnen, falls sie verbrannt würden, eine Art Unsterblichkeit zu sichern.
Die grösste Ueberraschung bei diesem Buch ereignete sich, als ich 1949 die Geschichte Der Fussgänger schrieb.
Als ich eines Nachts mit einem Freund in Los Angeles spazieren ging, wurde ich von der Polizei beheilligt. Der Polizist wollte von uns wissen, was wir taten. Dabei war nichts als Gehen unser Ziel und Reden unsere Beschäftigung.
Diese Kontrolle ärgerte mich so, dass ich nach Hause ging und die Geschichte Der Fussgänger schrieb über eine Zukunft, in der Fussgänger für die Benutzung des Gehsteigs verhaftet wurden.
Etwas später schickte ich meinen Fussgänger auf einen Spaziergang, und als er um eine Ecke bog traf er auf ein junges Mädchen namens Clarisse McClellan, die einen tiefen Atemzug nahm und sagte: „Ich weiss, wer Sie sind, denn Sie riechen nach Kerosin. Sie sind der Mann, der Bücher verbrennt.“
Neun Tage später war der Roman fertig.
Was für eine wunderbare Erfahrung es war, vom Keller der Bibliothek hinauf- und hinabzustürmen und mich selbst immer von neuem zu befeuern durch die Berührung und den Geruch von Büchern, die ich kannte und Büchern, die ich bis zu diesem Augenblick überhaupt nicht kannte.
Als die erste Fassung meines Romans beendet war, wusste ich kaum, was ich getan hatte. Ich wusste, dass er voll Methaphern steckte, aber das Wort „Metapher“ war mir zu diesem Zeitpunkt meines Lebens noch nicht untergekommen. Erst viel später lernte ich da Wort und erkannte wie ausgeprägt meine Fähigkeit war, Methaphern zu finden.
In den Jahren, in denen ich an meinem Zweiakter und der Oper schrieb, liess ich mir von meinen Figuren Dinge aus ihrem Leben erzählen, die nicht im Roman vorkommen.
Die Versuchung war gross, diese Wahrheiten auch in den alten Text einzzubauen. Aber das ist ein gefährliches Vorhaben, das sich Schriftsteller verbitten müssen. Selbst wenn sie wichtig sind, könnten diese Wahrheiten ein Werk, das Jahre zuvor abgeschlossen wurde, ruinieren.
Während ich das Theaterstück schrieb, verriet mir mein Hauptmann Beatty, warum er zum Bücherverbrenner geworden war.
Er war ein Bibliothekengänger und Liebhaber grosser Literatur gewesen. Aber als ihm die Wirklichkeit zusetzte, als Freunde starben, als eine Liebe scheiterte, als ihn Todes- und Unfälle umgaben, merkte er, dass ihn sein Glaube an die Bücher im Stich gelassen hatte, weil sie ihm nicht helfen konnten, wenn er Hilfe brauchte.
Als er sich ihnen wieder zuwandte, hatte er ein brennendes Streichholz in der Hand.
Das ist also eines der Details, die durch das Stück und die Oper zutage gefördert wurden. Ich bin froh, dass ich jetzt darüber sprechen und Ihnen von Beattys Hintergrud erzählen kann.
In den Jahren nach dem Erscheinen des Buchs bekam ich hunderte von Biefen, die nach dem Schicksal von Clarisse McClellan fragten Die Leser waren so fasziniert von diesem bezaubernden, seltsamen und idealistischen Mädchen, dass sie glauben wollten, sie hätte irgendwo draussen in der Wildnis zusammen mit den Büchermenschen überlebt.
Ich widerstand der Versuchung, sie in den nächsten Ausgeben meines Romans wieder zum Leben zu erwecken.
Ich überliess es Francois Truffaut in seiner Verfilmung von Fahrenheit 451, Clarisse wieder ins Leben zu holen. Er hat ihren Namen geändert und sie twas älter und reifer gemacht; damals dachte ich, das sei ein grosser Fehler. Aber am Ende des Films überlebt sie, und ich beschloss, dass Truffaut recht hatte.
Als ich die erste Fassung des Theaterstücks schrieb, erlaubte ich Clarisse, bei den Büchermenschen in der Wildnis weiterzuleben. Bei der Oper geschah das gleiche.
Sie war eine zu wundervolle Figur, um sie sterben zu lassen, und heute erkenne ich, dass ich ihr hätte erlauben sollen, am Ende des Buches wieder in Erscheinung zu treten.
Trotz alldem ist der Roman vollständig und unverändert. Ich habe nichts überarbeitet – und werde es auch nicht tun. Ich empfinde grossen Respekt für den jungen Mann, der ich war der sich mit einem Sack voller Münzen in den Keller setzte und dort in die leidenschaftliche Arbeit eintauchte, aus der das endgültige Werk entstand.
Hier also ist, fünfzig Jahre nach seiner Entsehung, Fahrenheit 451. Ich wusste nicht, was ich tat, aber ich bin froh, dass es geschehen ist.
Interpretationsansätze https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/fahrenheit-451/6037
- Fahrenheit 451 ist eine Dystopie, eine pessimistische, negative Utopie. Die (Horror-)Vision der amerikanischen Gesellschaft wurde vor dem Hintergrund der 1950er Jahre geschrieben. Die Ansätze für diesen Zukunftsentwurf waren damals in der Realität vorhanden: wachsende Macht der Massenmedien, Antiintellektualismus, übertriebener Fortschrittsglaube und Political Correctness.
- Bücherverbrennung ist ein besonders augenfälliger Akt der Zensur. Mit jedem verbrannten Buch soll der Geist des Menschen ausgelöscht werden, der es geschrieben hat. Dies wird auch durch den Selbstmord der alten Dame deutlich, die lieber mit ihren Büchern sterben will als ohne sie zu leben.
- Der Autor unterstreicht seine Aussagen durch Gegensätze: Der sinnentleerte Luxus in der Stadt wird durch die einfache, naturnahe Existenz der Intellektuellen kontrastiert, und dem alles verzehrenden Feuer steht Montags Wiedergeburt im Flusswasser gegenüber.
- Montag repräsentiert den ungebildeten Mitläufer und Täter, dem durch die Außenseiterin Clarisse die Augen geöffnet werden und der in der Folge zum Rebellen wird.
- Mildred repräsentiert alles, was in dieser Gesellschaft falsch und unmenschlich ist: Die Leere in ihrem Leben füllt sie mit Drogen, Schnellfahren und einer Fernseh-Ersatzfamilie. Mildred ist wie die meisten Stadtbewohner zwar physisch anwesend, aber ohne Seele, ein funktionierender Mensch im Unterdrückungsstaat.
- Hauptmann Beatty, Montags Gegenspieler, ist als "Kopf" des Systems äußerst gebildet und belesen. Doch sein Wissen ist destruktiv, es hat ihn zynisch und verbittert werden lassen. Am Ende wird Beatty mit seiner eigenen Waffe, dem Feuer, geschlagen.
- Technische Geräte, die Tiernamen tragen - z. B. der Mechanische Hund, der Salamander und die einäugige Schlange -, sind Symbole für eine seelenlose, mechanisierte Welt ohne Respekt vor der Natur und dem Leben des Einzelnen. Bradbury geht es nicht um die Darstellung eines faszinierenden technischen Fortschritts, sondern um die Isolation des Menschen in einer scheinperfekten Welt.
Heutzutage scheint das Medium Buch auf dem Rückzug zu sein und sich kaum noch gegen die elektronischen Massenmedien behaupten zu können. Fahrenheit 451 ist eine deutliche Warnung, was passieren kann, wenn die - immer noch an das Buch gebundene - Bildung auf breiter Front verloren geht.