Wienerblut

"Das einzige Lob, das es in Wien gibt, ist der Neid. Die einzige Zufriedenheit, die es in Wien gibt, ist der Tod."
(Helmut Qualtinger; zitiert nach: Stefan Slupetzky, Der Fall des Lemming)

Wien zählt wohl nicht gerade zu den Krimi-Hauptstädten Europas. Dafür seien die Wiener zu pragmatisch. „Selbst die ärgsten Gauner können jenen Anflug von Herzlichkeit nicht loswerden“ schreibt dazu der Journalist Wolfgang Koch in seinem Wien-Blog. Wien ist jedoch mit Nichten ein unbeschriebenes Krimiblatt.

Wiener Krimis in der Nachkriegszeit

Denkt man an Wien und Krimi, so kommt einem unweigerlich „Der dritte Mann“ (Originaltitel: „The Third Man“) in den Sinn. Kaum ein anderer Film hat eine Stadt so geprägt, wie dieser britische Spielfilm von Carol Reed aus dem Jahr 1949. Lesen Sie dazu den Teil 2.

Dem Thema angenommen hat sich auch Philip Kerr. In „alte Freunde, neue Feinde“, ein Roman aus der Berlin-Trilogie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther, verwebt er geschickt historische Ereignisse und Protagonisten mit seinen Kriminalgeschichten.

Der dritte Band der Reihe (nach „Feuer in Berlin“ und „Im Sog der dunklen Mächte“) hat unübersehbare Parallelen mit dem „dritten Mann“. Der Roman spielt im selben Zeitraum und weist noch andere Zusammenhänge auf. So spielt z.B. die Eröffnungsszene ebenfalls auf dem Zentralfriedhof, und der Beginn der Geschichte an sich ist sehr ähnlich.

Kerr gibt gar konkrete Hinweise auf den „dritten Mann“. So ist der Fundort einer Leiche ein Filmstudio der „Dritten-Mann-Film-Gesellschaft“. Thematisch weicht Kerr jedoch ab. Sein Fokus gilt den Gräueltaten der Nazis und deren Untertauchen und Wirken in der Gesellschaft der Nachkriegszeit. Kerr kritisiert hier scharf die pragmatische Haltung Österreich gegenüber den Naziverbrechern. Anhand des mysteriösen Verschwindens des SS-Sturmbandführers Heinrich Müller spinnt er eine fiktive Möglichkeit der Vertuschung von Lebensläufen durch.

Historisches Wien

Springt man in der Zeitrechnung noch weiter zurück, so begegnet man unweigerlich den historischen Romanen von J. Sydney Jones.

Der amerikanische Autor J. Sydney Jones lebte 1968 als Student in Wien und kehrte später für zwanzig Jahre dorthin zurück. In dieser Zeit schrieb er zahlreiche Sachbücher über Wien, darunter auch das vielbeachtete Buch „Hitler in Vienna: 1907-1913“. Nach seiner Zeit in Wien war er auch als Korrespondent und freischaffender Autor in Paris, Florenz, Molyvos und Donegal tätig.

Jones lässt seinen Kriminologen Hans Gross im Wien der K.-und-K.-Zeit ermitteln. Dabei verwebt er geschickt prominente historische Personen wie Mark Twain oder Gustav Klimt in die Geschichte mit ein. Diese Figuren und weitere historische Begebenheiten innerhalb der Erzählung ergeben ein authentisches Bild Wiens um die Jahrhundertwende. Die Serie ist auf 15 Bände ausgelegt. Zwei davon sind bereits in Deutsch erschienen: „Das Haus der Spiegel“ (2009) und  „Wiener Requiem“ (2010)

Ebenfalls um die vorletzte Jahrhundertwende spielen die Krimis von Frank Tallis. Der in London lebende Schriftsteller und praktizierender klinischer Psychologe Frank Tallis schreibt Krimis im Umfeld von Wiens berühmtesten Arzt und Psychoanalytiker Sigmund Freud. Seine Romanserie handelt im Umfeld des Psychoanalytikers Liebermann und seinem Freund Inspektor Rheinhardt. Sein bekanntester Roman "Die Liedermann Papiere" spielen im Wien im Jahr 1902. Der Roman beschreibt das Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, man musiziert, geht in Ausstellungen und ins Theater und ist an allem neuen interessiert. Es empfiehlt sich die Serie chronologisch zu lesen.

Sigmund_Freud

Lokale Werke

Eine spezielle Position der Wiener Krimilandschaft nehmen die Lokalkrimis ein. Auffallend dabei ist die Eigenheit, dass sie sich meistens ums leibliche Wohl drehen. Als Beispiele seien da erwähnt: Hermann Bauer, welcher Wiener Kaffehauskrimis schreibt (Verschwörungsmelange / Karambolage) oder Martin Mucha „Papierkrieg“. Gekrönt wird diese Sparte vom 2008 verstorbenen Wiener Autor Pierre Emme. Seine Krimis tragen Titel wie „Würstelmassaker“, „Tortenkomplott“ oder „Pizza Letale“. Pierre Emme ist das Pseudonym von Dr. Peter Millwisch. Er wurde 1943 in Wien geboren, und promovierte nach seinem Studium als Jurist. Die herrlich schrägen Kriminalromane um seine Hauptfigur Mario Palinski haben eine grosse Fangemeinde. Von seinen Mario Palinski Romanen sind deren acht erschienen. Der Kriminologe mit kulinarischen Vorlieben ermittelt in den unterschiedlichsten Fällen, immer mit viel typischen Wiener Schmäh. Dabei bindet der Autor auch aktuelle Anlässe wie z.B. die Fussball-Europameisterschaft 2008 (im Roman „Ballsaison“) mit ein.

Wiener_Kaffeehaus

Modernes Wien

Für das moderne Wien steht Stefan Slupetzky mit seinen Büchern „Der Fall des Lemming“ und „Lemmings Himmelfahrt“ Seine Bücher lassen unserer Meinung nach einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits beschreibt er das Wiener Ambiente mit seiner lebendigen Vergangenheit und dem immer noch pulsierendem Charme einer ehemaligen Weltstadt. Andererseits ist da Kriminalgruppeninspektor Krotznig, der Antiheld dieser Krimiserie. Er ist die Bösartigkeit in Person, und zwar nicht versteckt im Sinne eines Doppellebens, sondern ganz offensichtlich und unbehindert im Amt. Sogar seine Kollegen und ehemaligen Kollegen müssen nicht nur um ihre Karriere, sondern auch um ihr Leben fürchten, wenn sie Krotznig in die Quere kommen. Besonders auf Leopold Wallisch, genannt Lemming, den schwer in Mitleidenschaft genommenen Helden dieser Krimis, hat er es abgesehen.
Slupetzkys aggressive, gewalttätige und sexistische Sprache trägt zu einem eigentümlichen Eindruck von Wien bei. Ist Österreich jemals ein Rechtsstaat geworden, in welchem es auch für Polizisten Regeln und Gesetze gibt? Leben da wirklich so viele unzufriedene Menschen, die einander nichts gönnen und alles neiden und nichts anderes können als nach unten treten und einander anmotzen? (vgl. Zitat Helmut Qualtinger)

Ansatzweise siegt auch hier am Ende die Gerechtigkeit, aber das rettet nicht das Renommee Wiens. Die Krimis selber sind hervorragend, spannend, bissig – aber bedienen und übertreiben sie Wiener Klischees? Das mag der kundige Wien-Kenner und Leser selbst beantworten…

Wienerblut

Wien scheint die Fantasie vieler Krimiautoren anzuregen. So überraschte uns die österreichische Hauptstadt bei unserer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema mit ihrem vielfältigen Krimireichtum. Wien erlesen ist eines, wir empfehlen jedoch hingehen und schauen.

Der Krimiclub wünscht spannende Lektüre und frohes Reisen.

Anmerkung zum Übertitel: Wienerblut ist eine „komische Operette“ in drei Akten von Johann Strauss (Sohn), sowie der Titel des zweiten Romans von Frank Tallis.

Orte

Wiener Zentralfriedhof

Wien_Zentralfriedhof

Sowohl in „Der dritte Mann“, wie auch in „Alte Freunde, neue Feinde“ spielt die Anfangsszene auf dem Zentralfriedhof. Gemessen an der Anzahl Beerdigungen ist der Wiener Zentralfriedhof der Grösste Friedhof Europas. Er hat eine bewegte Geschichte hinter sich und birgt heute eine Vielzahl von Bestattungsstätten. Unter andern; Armenfriedhof, Anatomiefriedhof, Babyfriedhof, Buddhistischer Friedhof, Waldfriedhof u.a. Zu finden sind zahlreiche Prominenten Gräber  u.a. Curt Jürgen, Paul Hörbiger.

http://www.viennatouristguide.at/Friedhoefe/Zentralfriedhof/Z_Startseite/z_start.htm

Bücher Vorschläge

Autor

Titel

Valentina Berger "Der Augenschneider"
Piere Emme "Diamantenschmaus"
Catherine Gildiner "Verführung"
Graham Greene "Der dritte Mann"
Joseph Haslinger "Opernball"
Philip Kerr "Alte Freunde, neue Feinde"
Edith Kneifel "Tod ist eine Wienerin"
Beate Maxian "Tödlich sms"
Ilona Meyer Zach "Schärfentiefe"
Eva Rossmann "Freudsche Verbrecher"
Stefan Slupetzky "Lemmings Himmelfahrt" u.a.
Frank Tallis "Die Liedermann Papiere"
J. Sydney Jones „Das Haus der Spiegel“
Viel Vergnügen beim Stöbern !