Jô Soares - Sherlock Holmes in Rio
Wir befinden uns in Rio de Janeiro, im Mai 1886. Brasilien ist Kaiserreich, seit 1822 unabhängig, aber doch politisch, kulturell eng mit Europa verflochten. Auch das Kaiserhaus ist im Prinzip der verwandtschaftliche Ableger des Königshaus von Portugal. 1886 regiert Kaiser Pedro II.; er wird 1889 abdanken müssen, nachdem die offizielle und endgültige Abschaffung der Sklaverei 1888 zu Aufständen der Grossgrundbesitzer geführt hatten.
Zurück zum Mai 1886: Die berühmte Schauspielerin Sarah Bernhardt aus Paris gastiert in Rio und der Kaiser ist sehr angetan von ihr. Deshalb folgt er auch ihrem Rat, Sherlock Holmes zu engagieren, als eine Stradivari, die der Kaiser einer Freundin (oder Geliebten?) geschenkt hatte, gestohlen wurde. Sarah Bernhardt vermittelt auch den Kontakt zu Holmes und Watson. Gleichzeitig treibt sich in den Gassen von Rio auch ein Serienkiller herum, der Prostituierten die Kehle aufschlitzt und makabererweise und schamlos Geigensaiten bei den Ermordeten hinterlässt. Jo Soares, so der Klappentext, inszeniert vor dem so realen wie grellbunten Hintergrund der Belle Époque Brasilienne einen spritzigen Krimi, bei dem nicht ausgemacht ist, wie die Partie zwischen dem blutigen Serienkiller und dem legendären König der Detektive und seinem getreuen Watson dieses Mal ausgeht. Ach ja Watson, natürlich zeichnet Soares Holmes und Watson in einem ganz anderen Licht also Conan Doyle. Da gibt es zweifellos die Freundschaft zwischen beiden, aber auch jede Menge Andeutungen von Rivalität, Sticheleien, Irrtümern auf Seiten von Holmes, Provokationen … So schliesst etwa Holmes aus einem gelben Fleck auf der Bluse der Haushälterin, dass sie am Morgen ein Ei gegessen hat. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine gelbe Brosche, die der kurzsichtige Holmes einfach nicht erkannt hat, worauf Watson süffisant vor sich hinmurmelt, wie töricht dieser grosse Mann doch sei, aus Eitelkeit keine Brille tragen zu wollen. Oder kurze Zeit später fragt Watson Holmes: „Was will der brasilianische Kaiser von Ihnen?“ – „Dom Pedro bittet mich, diskrete Nachforschungen anzustellen.“ – „Wie hat er denn von uns erfahren?“ – „Von mir, mein lieber Watson, nicht von uns.“
Jô Soares wurde 1938 in Rio geboren, lebte einige Zeit in Europa und heute in Sao Paolo. Er ist Autor, Schauspieler, Komödiant, Satiriker, Fernsehmoderator und Theaterregisseur. „Sherlock Holmes in Rio“, 1995 erschienen, war sein erster Roman.
Jô Soares, Sherlock Holmes in Rio, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1997, Original: O xangô de Baker Street, Companhia das Letras, São Paulo, 1995.